Nr. 04/2002

Nr. 4/2002

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Beitrag zum 3. Kölner Sportökonomie-Kongress 2002

Doping als Wettkampfphänomen

von Alexander Dilger* und Frank Tolsdorf**

1. Einleitung

Häufig wird Doping als individuelles Fehlverhalten von einigen wenigen moralisch zweifelhaften Sportlern dargestellt. Wir wollen hingegen herausarbeiten, dass es systematische, in der Organisation des sportlichen Wettbewerbs und der diesen begleitenden Medien, Werbung, staatlichen Förderung etc. liegende Anreize und Selektionsmechanismen für den Gebrauch von Dopingmitteln gibt. Wenn Doping die sportliche Leistung verbessert (und nur dann ist der Doping-Einsatz rational), dann verbessern einzelne gedopte Sportler ihren Rangplatz und verdrängen ungedopte Sportler vom Siegertreppchen oder überhaupt aus dem Wettkampfkader, wogegen sich jene nur mit dem eigenen Gebrauch von Dopingmitteln wehren können. Dazu wird im 2. Abschnitt ein theoretisches Modell entwickelt, aus dem sich empirisch testbare Hypothesen ergeben. Es wird desto eher (und mehr) gedopt, je höher die Leistungsdichte der Spitzensportler ist, je mehr die Leistung durch Doping ansteigt, je laxer die Dopingkontrollen sind, je geringer die Strafen für erwischte Dopingsünder ausfallen, je weniger die Dopingmittel die Gesundheit beeinträchtigen und je kürzer die noch zu erwartende sportliche Karriere ist (also insbesondere durch relativ alte oder schlechte Sportler).

Diese Hypothesen lassen sich empirisch überprüfen, wobei wir jedoch mit großen Schwierigkeiten hinsichtlich der Datenbeschaffung konfrontiert waren. Solche Probleme bei der Datenverfügbarkeit sind möglicherweise auf eine zweite Form systematischer Fehlanreize in Richtung Dopingmissbrauch zurückzuführen, diesmal nicht auf Ebene der aktiven Sportler, sondern der für die Dopingkontrolle zuständigen nationalen und internationalen Verbände. Denn diese sind vor allem am Image des „sauberen“ Sports interessiert, dem öffentlich bekannte Dopingfälle eher abträglich sind. Umgekehrt präferieren die Verbände sportliche Erfolge bis hin zu neuen Weltrekorden, relativ unabhängig vom Dopingproblem, solange dieses nicht öffentlich wird.1 Darauf deutet das systematische, zugleich seinerzeit geheime Dopingprogramm der ehemaligen DDR und in anderen sozialistischen Ländern hin.

Jedenfalls stellen wir im 3. Abschnitt verfügbare Daten zu erwischten Dopingsündern in der Leichtathletik vor und diesen Angaben über die jeweiligen Weltrekorde in den einzelnen Disziplinen gegenüber, um zumindest einige der formulierten Hypothesen empirisch überprüfen zu können. Im 4. Abschnitt werden Schlussfolgerungen gezogen und ein Ausblick gegeben.

2. Theoretisches Modell des Dopingverhaltens

Gemäß dem (sport)ökonomischen Ansatz wird eine Entscheidung für oder wider den Einsatz von Dopingmitteln wie auch jede andere Entscheidung rational getroffen, um eine individuelle Nutzenmaximierung zu erzielen. Moralische Appelle helfen da nur sehr bedingt weiter, nämlich insofern sie die Kosten des Dopens erhöhen, während institutionelle Regelungen entscheidend sind.

In einer dopingfreien Welt könnte die Nutzenfunktion Nf eines Leistungssportlers bei Reduktion auf das Wesentliche so dargestellt werden:

Nf = p(L,La) G + R

Dabei bezeichnet p die Wahrscheinlichkeit, dass der Sportler die angestrebten sportlichen Erfolge mit dem Nutzen G erringt, z. B. einen Wettkampf gewinnt.2 Diese Wahrscheinlichkeit hängt von seiner eigenen körperlichen Fitness und Leistungsfähigkeit Lab. Diese wiederum wird von seiner angeborenen Konstitution, dem Training und Zufallseinflüssen bestimmt. Insbesondere der Einfluss des Trainings und Anstrengungsvariationen könnten in der Tradition der Prinzipal-Agenten-Theorie weiter analysiert werden. Hier soll jedoch angenommen werden, dass Spitzensportler jeweils vollständig austrainiert sind.3 Die Erfolgswahrscheinlichkeit p eines Sportlers hängt jedoch nicht nur von seiner eigenen Leistungsfähigkeit ab, sondern auch von der seiner Konkurrenten, die zusammenfassend mit La bezeichnet werden soll.4 R bezeichnet schließlich die restlichen, vom Erfolg unabhängigen Nutzenkomponenten der sportlichen Betätigung, etwa Freude an der sportlichen Aktivität oder verbesserte Gesundheit. R kann auch negativ sein, insbesondere wenn die Opportunitätskosten der Zeit hoch sind für den Sportler.

In einer Welt mit Doping bleibt die grundlegende Nutzenfunktion erhalten, sie ist nur um den Dopingeinfluss zu ergänzen:

Nm = (1–q[D])p(L[D], La[Da]) G q(D)S + R(D)

Die Entdeckungswahrscheinlichkeit q, die vom Dopingeinsatz Dabhängt, schmälert nicht nur die Aussicht auf den Erfolgsnutzen G, sondern führt unabhängig davon zu Strafen wie schlechter Presse und dem Ausschluss von zukünftigen Wettkämpfen mit dem (Dis-)Nutzen S. Auch unentdeckt beeinflusst Dopingkonsum den erfolgsunabhängigen Nutzen R negativ, insbesondere durch die Gefährdung der Gesundheit, vielleicht zusätzlich noch durch ein schlechtes Gewissen. Wenn trotz dieser drei negativen Komponenten überhaupt ein Dopinganreiz besteht, so liegt dieser in einer Steigerung der Leistungsfähigkeit L und damit der Erfolgswahrscheinlichkeit p. Wirkungslose Dopingsubstanzen werden rationale Sportler jedenfalls nicht benutzen!5 Schließlich ist noch Da als der Dopingeinsatz der übrigen Sportler zu identifizieren, der deren Leistungsfähigkeit La und damit (in der Regel) Siegeschancen steigert, also p schmälert.6

Ob eine Entscheidung für oder wider Doping rational ist, soll komparativ-statisch ermittelt werden. Entsprechende Überlegungen sind bei dem Gebrauch zusätzlicher Dopingmittel oder erhöhtem Mitteleinsatz anwendbar. Zur Vereinfachung sei q(0) = 0 und q(Dg) = q beim zu vergleichenden Dopingeinsatz gegebener Größe Dg. Die Erfolgswahrscheinlichkeit ohne Doping p(L[0], La[Da]) sei mit p abgekürzt undR(0) = R. Mit Doping wachse die Erfolgschance um d, also p(L[Dg], La[Da]) = p + d. Schließlich sei R(Dg) = R B. Dann ist der Nutzen bei Entscheidung gegen Doping

Nu = p G + R.7

Der Nutzen für gedopte Sportler ist hingegen

Nd = (1 – q)( p +d) G q S + R B.

Ein rationaler Sportler wird sich genau dann fürs Dopen entscheiden, wenn

Nd > Nu.

Dies ist genau dann der Fall, wenn

d G q (p + d)G q S B > 0.

Das lässt sich wiederum umformen zu

d > p q / ( 1 – q) + (S/ G) q / (1 – q) + (B / G) / ( 1 – q).

Daraus wird deutlich, wie Veränderungen der verschiedenen Parameter die Dopingentscheidung beeinflussen. Ein höheres d, also besonders erfolgswirksames Doping, führt eher zum Doping.8 Dasselbe ist der Fall bei einem höheren Nutzen G im Erfolgsfall,9 also z. B. höhere Siegprämien oder Werbeeinnahmen. Alle anderen Größen erhöhen die rechte Seite der Ungleichung und senken somit die Dopingwahrscheinlichkeit. Eine höhere Erfolgswahrscheinlichkeit p auch ohne Doping senkt die Bereitschaft zum Dopen, so dass ceteris paribus eher schlechtere Sportler dopen werden.10 Ein höheres Entdeckungsrisiko q reduziert den Dopinganreiz gleich in allen drei Summanden auf der rechten Seite der Ungleichung, so dass eine sinnvolle Dopingbekämpfung insbesondere hier ansetzen sollte. Ein anderes sinnvolles Mittel zur Bekämpfung von Doping sind höhere Strafen S, wenn jemand beim Doping erwischt wird. Schließlich beeinflusst auch die entdeckungsunabhängige Nutzeneinbuße B den Dopingkonsum negativ.

Da p in der Regel vom Dopinggebrauch der sportlichen Konkurrenz negativ beeinflusst wird, wie oben ausgeführt wurde, kann Doping von einem Sportler zu Doping bei anderen führen und einen Teufelskreis auslösen. Dieser negative externe Effekt und die Gefahr eines Gefangenendilemmas11, bei dem alle dopen und dadurch ihre Gesundheit gefährden (B), ist im Übrigen die Hauptrechtfertigung für den Kampf gegen Doping. Individuell wägt jeder ab, ob ihm der Nutzen des Dopings die Kosten desselben wert ist. Von daher bieten selbst Gesundheitsgefahren aus ökonomischer Sicht keinen Grund zum regulierenden Eingriff. Die Rechtfertigung entsteht vielmehr daraus, dass jeder bei seiner individuellen Dopingentscheidung den negativen Einfluss auf alle übrigen Sportler übersieht. Wo schließlich B = 0 (oder sogar negativ) ist, da sollte die unschädliche Substanz auch nicht verboten und mit Sanktionen belegt werden.

Dieses sehr abstrakte Doping-Modell erlaubt es, auch konkretere Hypothesen abzuleiten, wie sie z. T. in der Einleitung erwähnt wurden. Dazu ist es nur nötig, im konkreten Fall zu fragen, welche Parameterwerte des Modells wie tangiert sind. So drückt sich beispielsweise eine erhöhte Leistungsdichte, also mehr Konkurrenz guter Sportler mit ähnlichen Leistungen, in einem kleineren p aus. Wenn alle anderen Parameter unverändert bleiben, sollte in solch einem Fall der Dopingeinsatz zunehmen.

Für die empirische Überprüfung des Modells, wie sie im nächsten Abschnitt versucht wird, ergeben sich nun einige Schwierigkeiten. So ist jede Sportart anders, so dass sich bei Änderung eines Parameters auch alle anderen ändern könnten. Diesem Problem lässt sich jedoch durch statistische Verfahren beikommen, wenn mehrere Variablen zugleich kontrolliert werden und vor allem unterstellt werden kann, dass kein systematischer Einfluss zwischen den Variablen die vermuteten Beziehungen konterkariert. So sollte sich der behauptete Zusammenhang zwischen Doping und Leistungsdichte nicht in jeder einzelnen Sportart, durchaus aber über eine Vielzahl von Sportarten beobachten lassen, falls nicht z. B. gerade in solchen Sportarten mit starker Konkurrenz die Wirkung von Doping d besonders gering ist, wofür aber im Vorhinein erst einmal nichts spricht.

Ein anderes Problem ist die mangelnde Beobachtbarkeit des tatsächlichen Dopinggebrauchs. Grundsätzlich lassen sich nur die erwischten Dopingsünder feststellen, nicht die unentdeckten. So können wenig aufgedeckte Fälle einerseits für tatsächlich wenig Doping sprechen, andererseits aber auch für eine niedrige Entdeckungsrate q mit entsprechend höherem Dopinganreiz. Außerdem dürfte q für unterschiedlich erfolgreiche oder aus verschiedenen Ländern kommende Sportler unterschiedlich hoch sein. Für unsere Untersuchung am schwerwiegendsten ist jedoch das Problem der generellen Datenverfügbarkeit und der mangelnden Kooperationsbereitschaft der offiziellen Sportverbände, was mit dem in der Einleitung diskutierten zweiten institutionellen Dopingproblem, den Fehlanreizen auf Verbandsebene, zusammenhängen dürfte.

3. Empirische Daten und Ergebnisse

Für einen Zeitraum von 1999 bis Anfang 2002 haben wir 98 Dopingfälle in zwölf Leicht-athletik-Disziplinen erfasst, indem wir von anderen Internetseiten und Publikationen zusammengetragene Daten der Homepage http://home.t-online.de/home/05919150080-0001/Mehr.html#anchor472215 von Frau Annette Koop mit ihrer dankenswerten Erlaubnis ausgewertet haben.12 Angaben über das Alter und die ausgeübte Disziplin der betroffenen Athleten wurden der Onlinedatenbank http://www.tilastopaja.com entnommen. Eine mögliche Verzerrung der Daten durch eine nicht vollständige Erfassung aller erwischten Dopingsünder kann nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden.

Die abhängige Variable „Anzahl“ beinhaltet die jeweilige Anzahl der im betrachteten Zeitraum des Dopings überführter Athleten getrennt nach Sportart und Geschlecht. Ein Problem bei dieser Variable ist, dass die Grundgesamtheit aller getesteten Sportler nicht bekannt ist. Bei vielen aktiven Athleten ist dieselbe Anzahl ertappter Dopingsünder anders zu bewerten als bei einer kleineren Zahl Aktiver in einer Disziplin.

Zur Bestimmung eines Konzentrationsmaßes für die einzelnen Leichtathletikdisziplinen haben wir die Weltjahresbestenliste 2001 ausgewertet. Darin sind die zwanzig im Jahr 2001 besten Athleten der Welt für die jeweilige Sportdisziplin mit Name und Leistung erfasst. Mit diesen Daten haben wir jeweils für die Variable „Konzentration“ das folgende Konzentrationsmaß X errechnet:

X = (E20–E10 ) / (E20E1)

Dabei bezeichnet E20 das zwanzigstbeste Ergebnis in einer bestimmten Disziplin und für ein gegebenes Geschlecht, E10 entsprechend das zehntbeste und E1 das beste Ergebnis im Jahr 2001. Das gewählte Maß hat den Vorteil, sowohl Zeit als auch Längen- bzw. Höhenmaße zu standardisieren und somit eine Vergleichbarkeit zwischen den einzelnen Sportarten herzustellen. Ein Konzentrationswert von 0,5 würde entsprechend eine annähernde Gleichverteilung der Leistung zwischen den zwanzig besten Athleten eines Jahres in der Sportart bedeuten. Niedrigere Konzentrationswerte deuten darauf hin, dass die besten Sportler weniger von der Konkurrenz der nachfolgenden berührt werden, was bei einer Normalverteilung der Leistungsfähigkeit zu erwarten ist.13

Als Grundlage für die Variable „Gedopt“ zur Bestimmung der Anzahl gedopter Weltrekordler diente die Internetplattform http://www.sport1.de. Für jede Sportart wurden die letzten drei Weltrekordler namentlich ermittelt. Auf Grund der Namen ließ sich relativ leicht festgestellt, welche von ihnen in ihrer sportlichen Karriere positiv auf Dopingmittel getestet wurden. Die Variable erfasst gleichzeitig alle möglichen Dopingfälle getrennt nach Sportart sowie Geschlecht und summiert diese auf. Die Ausprägung der Variable schwankt dementsprechend zwischen null und drei. Dasselbe gilt für die Variable „Verdacht“, die misst, wie viele Weltrekordler aus einem potentiellen „Verdachtsland“ mit systematischen Dopingstrategien kommen, wozu alle ehemaligen oder immer noch sozialistischen Staaten gezählt wurden.

Als Indikator für das Alter, in welchem die Sportler bezüglich ihrer jeweiligen Sportart das höchste Leistungsvermögen besitzen, wurde das Durchschnittsalter der letzten drei Weltrekordler auf Grundlage des jeweiligen Rekordjahrs ermittelt. Die Variable der betragsmäßigen „Alterdifferenz“ misst den durchschnittlichen Altersabstand der gedopten Athleten von diesem Durchschnittsalter der Weltrekordhalter. Die Variable „Alter“ hingegen gibt das Durchschnittsalter der positiv getesteten Sportler an. Die Dummy-Variable „Geschlecht“ versteht sich schließlich von selbst, wobei Frauen mit 0 und Männer mit 1 kodiert wurden. Tabelle 1 beinhaltet Angaben zur deskriptiven Statistik für die genannten Variablen.

Tabelle 1: Deskriptive Statistik

Variable

Gültige Fälle

Minimum

Maximum

Mittelwert 

Standardabw.

Anzahl

24

0,000

22,000

4,042

4,418

Konzentration

24

0,040

0,590

0,300

0,120

Gedopt

22

0,000

3,000

0,500

0,964

Verdacht

22

0,000

3,000

1,591

1,403

Altersdifferenz

21

0,000

13,500

4,470

3,296

Alter

22 21,500

38,500

29,109

4,965

Geschlecht

24

0,000

1,000

0,500

0,511

 

Im Folgenden soll geschätzt werden, wie die verschiedenen Variablen auf die Anzahl der ermittelten Dopingsünder einwirken. Statt einer Vielzahl von Mittelwertvergleichen wird ein lineares Regressionsmodell geschätzt, womit sich der simultane Effekt aller unabhängigen Variablen bestimmen lässt. Dabei erwarten wir, dass die Konzentration positiv auf die Anzahl wirkt14, was sich unmittelbar aus dem theoretischen Modell ergibt. Die Zahl der gedopten und der verdächtigen Weltrekordler sollte ebenfalls positiv wirken, weil sie für starken Dopingeinsatz oder zumindest entsprechende Nachweise in der jeweiligen Sportart sprechen. Für die Altersdifferenz und das Alter erwarten wir ebenfalls positive Effekte, weil bei größerem

 

Abstand vom Idealalter in der Sportart der Dopinganreiz größer ist (p ist kleiner) und da ältere Sportler wegen ohnehin näherem Karriereende weniger zu verlieren haben, wenn sie erwischt werden sollten (S ist kleiner). Über geschlechtsspezifische Dopingunterschiede können wir keine Vorhersage treffen, höchstens indirekt sollte die größere Anzahl männlicher Athleten die Konkurrenz verstärken und auch so zu einer höheren Anzahl ermittelter Dopingfälle führen.

Tabelle 2 gibt die tatsächlichen Ergebnisse der entsprechenden Regressionsschätzung wider. Es zeigt sich, dass die vorhergesagten Beziehungen nur teilweise bestehen. Das Konzentrationsmaß hat einen statistisch signifikanten und bedeutenden Effekt auf die Anzahl der beobachteten Dopingfälle in der jeweiligen Sportart. Dasselbe trifft auf die betragsmäßige Altersdifferenz zu, jedoch überraschenderweise nicht auf das Alter der Sportler, welches einen signifikant negativen Effekt hat. Über die Ursachen lässt sich nur spekulieren, doch wir vermuten, dass vor allem Selektions und Lerneffekte vorliegen: Ältere Sportler werden seltener erwischt, da etliche Dopingsünder entweder schon in jüngeren Jahren erwischt und aussortiert bzw. abgeschreckt wurden15 oder sie mit zunehmendem Alter die Dopingmittel besser einzusetzen und Kontrollen geschickter zu umgehen gelernt haben.

Tabelle 2: Regressionsmodell zur Anzahl beobachteter Dopingfälle

Variable

Koeffizient

Standardfehler

t-Wert

Signifikanzniveau

Konzentration

32,731

11,409

2,869

0,013

Gedopt

1,979

1,211

1,634

0,126

Verdacht

-1,099

0,678

- 1,622

0,129

Altersdifferenz

1,104

0,431

2,563

0,024

Alter

-0,978

0,373

-2,619

0,021

Geschlecht

3,136

2,226

1,409

0,182

Konstante

17,616

8,809

2,000

0,067

 

Gesamtmodell: gültige Fälle = 19; adj. R2 = 34,9 %; F-Wert = 2,697; Signifikanz = 0,063

Die Zahl der gedopten Weltrekordhalter wirkt erwartungsgemäß positiv, allerdings insignifikant gemäß den gängigen Signifikanzniveaus. Die Zahl der Weltrekordhalter aus verdächtigen Ländern wirkt ebenfalls nur insignifikant, allerdings mit negativem Vorzeichen. Dies könnte z. B. daran liegen, dass die entsprechenden Weltrekorde häufig schon länger zurückliegen16 und angesichts verbesserter Dopingnachweismethoden als „unbrechbar“ erscheinen. Das Geschlecht wirkt schließlich insignifikant positiv, also Männer dopen leicht mehr, was den Erwartungen entspricht.

Das Gesamtmodell ist nur schwach signifikant, was aber angesichts der geringen Fallzahl nicht weiter verwunderlich ist. Insbesondere der Konzentrationseffekt ist sehr robust auch gegenüber Veränderungen in der Auswahl der übrigen Variablen.

4. Schlussfolgerungen und Ausblick

Wir haben im zweiten Abschnitt ein Modell rationalen Dopingverhaltens formuliert, welches die Ableitung abstrakter und auch sehr konkreter Vorhersagen erlaubt. Dabei hat sich die empirische Überprüfung als schwierig erwiesen, insbesondere wegen eines mangelnden Verbandsinteresses, Daten über Dopingsünder weiterzugeben oder sogar überhaupt zu erfassen. Trotzdem ist es uns gelungen, ein kleines Regressionsmodell mit aggregierten Daten über die Anzahl der erwischten Dopingverwender in verschiedenen Leichtathletikdisziplinen empirisch zu schätzen. Insbesondere der vorhergesagte Zusammenhang zwischen dem Konzentrationsgrad der Leistungen und Doping konnte bestätigt werden. Doping ist also wohl tatsächlich ein Wettkampfphänomen. Je härter der Wettbewerb, desto größer ist der Dopinganreiz, um entweder ungedopte Konkurrenten zu besiegen oder zumindest gegenüber ebenfalls Gedopten nichts ins Hintertreffen zu geraten. Letzteres zeigt, dass durch Doping alle verlieren können, was den Kampf gegen Doping zu rechtfertigen vermag. Denn wenn alle dopen würden, hätte niemand mehr einen Wettbewerbsvorteil davon, jedoch jeder die damit verbundenen Gesundheitsrisiken. Dopen hingegen nur einige, haben gerade diese einen Vorteil gegenüber den ehrlichen Sportlern, was durch hohe Strafen und viele Kontrollen ausgeglichen werden sollte.

 

Die Übertragung der Ergebnisse auf andere Arten von Wettbewerben bietet sich an, z. B. Steuerhinterziehung oder Umweltverschmutzung, Korruption17, falsche Wahlversprechen oder wissenschaftliches Fehlverhalten. Daneben wollen wir die Datenbasis im Sportbereich verbreitern und verbessern, um die empirische Evidenz für unser Modell zu stärken.

*  Gastprofessor Dr. Alexander Dilger, Universität Wien, Betriebswirtschaftliches Zentrum, Brünner Str. 72, A-1210 Wien.

**  Frank Tolsdorf, Universität Witten/Herdecke, Reinhard-Mohn-Lehrstuhl für Unternehmensführung, Alfred-Herrhausen-Str. 50, 58448 Witten.

1  Vgl. Wagner (2000), S. 80.

2  Bei p kann es sich auch um einen Vektor von Wahrscheinlichkeiten handeln, mit denen verschiedene Erfolge erreicht werden, z. B. die Gold-, Silber- oder Bronzemedaille.G ist dann natürlich ebenso ein Vektor.

3  Diese Annahme schränkt die Allgemeinheit des Ansatzes nicht ein, da ein „fauler“ Sportler eben einfach ein niedrigeres L hätte als ein anderer, der ihm bis auf die gewählte Anstrengung gleicht. Wie sich zeigen wird, ist  in der Regel bei niedrigerem L der Anreiz zum Doping größer, was den moralischen Vorwurf stützen könnte, dass die weniger fleißigen Sportler eher dopen. Dasselbe gilt aber auch für weniger talentierte Sportler.

4 La kann wiederum ein Vektor sein des Potentials jedes einzelnen Konkurrenten oder die Leistungsfähigkeit des stärksten Rivalen um den angestrebten Erfolg darstellen. Für ein spieltheoretisches Modell mit interdependenter Dopingentscheidung siehe Berentsen (2002).

5  Es gibt zwei mögliche Ausnahmen, die aber mit der spezifischen Dopingproblematik wenig zu tun haben. Sportler können verbotene Drogen aus reinen Konsumzwecken (Steigerung von R in dem Modell) nehmen, z. B. Kokain. Außerdem könnten sie unbeabsichtigt oder mangels Alternativen Mittel von der Dopingliste zu anderen, vor allem medizinischen Zwecken konsumieren. Dies ließe sich in dem Modell am ehesten so fassen, dass auch ohne (Entscheidung für) Doping q > 0 ist.

6  Für die anderen Sportler gelten entsprechende Nutzenfunktionen, so dass deren Dopingeinsatz nicht allein ihre Leistungsfähigkeit steigert, sondern natürlich ebenfalls mit einem Entdeckungsrisiko verbunden ist. Der Gesamteffekt wird jedoch so sein, dass jemand nur dopt, wenn er seine eigene Erfolgswahrscheinlichkeit steigert und damit die aller übrigen zusammengenommen senkt. Bei mehr als zwei Personen kann es dabei jedoch zu paradoxen Effekten kommen getreu dem Motto: „Wenn zwei sich dopen, freut sich der Dritte.“ Beispielsweise könnte ein Sportler zwei anderen hoffnungslos unterlegen sein (p = 0), selbst wenn er dopen würde. Falls jedoch die beiden anderen dopen, um gegenüber dem jeweils anderen nicht zurückzufallen, und zufällig beide erwischt werden, dann gewinnt der eigentlich nur Drittbeste ganz ohne eigenes Zutun.

7  Dies entspricht fast dem Nutzen in einer Welt ganz ohne Doping, nur dass in p nun auch der negative Einfluss des (potenziellen) Dopings anderer Sportler enthalten ist. Daraus ergibt sich, dass zumindest ungedopte Sportler es in einer insgesamt dopingfreien Welt besser hätten.

8  Bei d = 0 ist die Ungleichung nie erfüllt und wird folglich auch nie gedopt, was die entsprechende obenstehende Aussage beweist.

9  Wenn dieser Nutzen null beträgt, ergibt sich aus der vorletzten Ungleichung, dass ebenfalls nie gedopt wird.

10  Allerdings könnte eine Beziehung zwischen d und pbestehen. Wer z. B. so schlecht ist, dass er auch mit Doping nicht gewinnen kann (p = 0 und d = 0), wird nicht dopen. Natürlich kann es sein, dass schlechtere Sportler andere Leistungsziele haben als bessere, z. B. eine Landes- statt eine Weltmeisterschaft gewinnen wollen, und dafür zu Dopingmitteln greifen. Auch sind die sonstigen Karriereaussichten für schlechtere Sportler weniger gut, so dass sie z. B. von einer Wettkampfsperre weniger tangiert werden (S ist kleiner).

11  Vgl. Eber/Thépot (1999), S. 436.

12  Wir haben wie erwähnt versucht, die ermittelten Dopingsünder bei den jeweiligen Sportverbänden zu erfragen, was sich jedoch als unergiebig herausstellte. Nach eigenen Angaben erfassen die Verbände keine Daten über oder von gedopten Sportlern. Dies ist relativ überraschend, wo doch gerade für eine effektive Dopingbekämpfung durch die Verbände eine Erfassung entsprechender Daten essentiell sein sollte. Wir vermuten allerdings, dass diese Daten durchaus erfasst, aber nicht offengelegt werden. Schließlich benötigen die Verbände solche Daten, um mögliche Wettkampfsperren zu überwachen.

13  Das Konzentrationsmaß beinhaltet eine gewisse Willkür in der Hinsicht, dass anstelle des zehnten und zwanzigsten auf der Weltjahresbestenliste auch die Leistung des dritten oder fünfzehnten als Grundlage hätte gewählt werden können. Doch dies wäre natürlich ebenso willkürlich gewesen. Entscheidend ist es, ein standardisiertes und interdisziplinär vergleichbares Maß zu verwenden. Die Stabilität der Ergebnisse bei Variation der Maßzahl bleibt zu überprüfen.

14  Dabei ist der Begriff „wirken“ nicht unbedingt kausal aufzufassen, weil sich Kausalbeziehungen im Rahmen eines solchen Regressionsmodells nicht ermitteln lassen. Es sollte jedoch eine signifikante statistische Beziehung zwischen diesen Variablen bei Kontrolle des Effekts aller übrigen Variablen bestehen.

15  Bei einem erstmaligen Dopingnachweis erfolgt in der Regel eine zweijährige Wettkampfsperre, während bei einem erneuten Nachweis der Athlet dauerhaft gesperrt wird, was eine ungleich härtere Strafe darstellt. Entsprechend gibt es in unserem Datensatz nur einen doppelt erwischten Athleten, der auch deutlich älter ist als der Durchschnitt der übrigen Dopingsünder.

16  Eine entsprechende Variable für die vergangene Zeit seit dem letzten Weltrekord erwies sich jedoch als insignifikant. Wegen der geringen Fallzahl mussten wir auch noch auf einige weitere potentiell interessante Variablen verzichten.

17  Vgl. Maenning (2002).

Literatur

Berentsen, Aleksander (2002): „The Economics of Doping“, in: European Journal of Political Economy 18, S. 109-127.

Eber, Nicolas/Thépot, Jacques (1999): „Doping in Sport and Competition Design“, in: Recherches Économiques de Louvain – Louvain Economic Review 65, S. 435-446.

Maenning, Wolfgang (2002): „On the Economics of Doping and Corruption in International Sports“, in: Journal of Sports Economics 3, S. 61-89.

Wagner, Gert G. (2000): „Das Doping-Problem – Ansätze aus Sicht der Sportökonomik“, in: Büch, Martin-Peter (Hg.): „Beiträge der Sportökonomik zur Beratung der Sportpolitik: Dokumentation des Workshops vom 11. Mai 2000“, Köln, S. 79-92.  

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